Jetter, F.:
Wohnungsnot als Schlüsselproblem der Sicherung des sozialen Friedens
- Subjektförderung, Objektförderung und das Drei-Phasen-Modell des Dritten Wohnungsmarktes
als wohnungspolitische Instrumente -



das Original-Layout erscheint
in: WSI-Mitteilungen, Monatszeitschrift des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung, Köln: Bund-Verlag, Heft 1 / 1995, S. 12-22.


 


1. Wohnungsnot als soziales Schlüsselproblem



Wohnungsnot ist zu einem sozialen Schlüsselproblem geworden: Wohnungsmarktengpässe und das Entstehen von neuen Armutsgebieten in den Großstädten bilden eine der zentralen Ursache für eine wachsende Aggressivität und wachsende Konflikte zwischen Mehrheiten und Minderheiten in den Städten. Die Wohnungs(markt?)politik - nach den Plänen der Regierung ist eine stärkere Orientierung am Markt vorgesehen - ist deshalb für mehr verantwortlich als für eine bloße Wohnraumversorgung. Die Behebung der Wohnungsnot wird zum Schlüssel der Behebung einer Vielzahl gesellschaftlicher Probleme sowie zur Sicherung des sozialen Friedens.

So bedeutet Wohnungslosigkeit insbesondere fehlende Privatheit bei der Nahrungsaufnahme, der Hygiene, bedeutet fehlenden Raum für Erotik und Sexualität, bedeutet fehlenden oder unzureichenden Raum zum Schlafen, bedeutet gesundheitliche Beeinträchtigung, zusammengefaßt also "soziale Diskriminierung"(FN1). Wohnen zu können zeigt sich daher als eine Grundkategorie menschlicher Existenz. Wohnen (zu können) zeigt sich also als entscheidendes Kriterium für die Lebenswelterfahrung, so daß man von der Wohnung als Lebenslage-Determinante sprechen kann.

Heutzutage sind Wohnungen wieder Mangelware. Viele Wohnungssuchende stoßen auf Schwierigkeiten, eine adäquate Unterkunft zu finden, die Mieten steigen wieder stärker und sind für viele unbezahlbar. Es zeigt sich nach den Mitteilungen des Rings Deutscher Makler (RDM)(FN2), daß sich in den Ballungszentren die Mieten für Wohnungssuchende von 1987 bis 1991 um rund 50 vH verteuert haben. Im Ausblick kommt die Studie der Gesellschaft für Wohnungswesen und Siedlungsbau (GEWOS)(FN3) zum Beispiel für die Region München bis zum Ende dieses Jahrtausends auf eine Prognose von 30 bis 50 DM Mietpreise pro Quadratmeter, bei jährlichen Steigerungsraten von sieben bis acht Prozent.

Aber nicht nur die Mieten explodieren, wie die von den Gemeinden aufgestellten Preisübersichten der Mietenspiegel belegen; es fehlt auch an einem adäquatem Angebot bezahlbarer Wohnungen: Derzeit fehlen in Deutschland nach Angaben der Bundesregierung rund 2,5 Mill. Wohnungen (FN5). Aber auch aus der statistischen Rechnung, daß 35,3 Mill. Haushalten 33 Mill. Wohnungen gegenüberstehen, läßt sich auf ein Manko von rd. 2,5 Mill. fehlender Wohnungen schließen. Das IFO-Institut (FN5) rechnet daher bis zum Jahr 2000 mit einem Zusatzbedarf ("keine Sättigung") in Höhe von insgesamt über 5,1 Mill. Wohnungen.

Dabei bestehen die Probleme des Wohnungsmarktes in Dreierlei: in zunehmender Knappheit (Wohnungsmangel), in der Verteuerung mietbarer Wohnungen (Mietzinsnot) und schließlich in der Abnahme sozial gebundener Wohnungen (Krise des Sozialen Wohnungsbaus).

Der Umbruch auf dem Wohnungsmarkt und die Ausweitung der Wohnungsnachfrage lassen sich auf verschiedene Faktoren und Entwicklungszusammenhänge demographischer, politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art zurückführen:

· Die erhöhte Nachfrage nach Wohnungen resultiert aus einer weiter zunehmenden Gründung von Haushalten. Geburtenstarke Jahrgänge, alte Menschen, die in zu großen Wohnungen verbleiben, eine hohe Scheidungsrate - jede dritte Ehe wird geschieden - und die wachsende Zahl von Einpersonenhaushalten - in Frankfurt am Main sind z.B. 50 vH aller Haushalte Single-Haushalte - hatten eine steigende Nachfrage nach Wohnraum zur Folge.

· Eine weitere Rolle spielt der wohlstandsbedingte Anstieg der Wohnungsnachfrage, insbesondere hinsichtlich der Wohnfläche. Es ist ein Trend zum besseren und geräumigeren Wohnen festzustellen. Im Durchschnitt belegt heute jede und jeder pro Kopf rund 36 qm an Wohnfläche. Während früher große Familien mit mehreren Personen nur eine Küche oder Bad benötigten, erhebt heute jeder Alleinstehende Ansprüche auf ausreichende Versorgung mit Wohnraum in allen Funktionsbereichen der Wohnung.

· Seit 1988 erhöhte sich die Wohnungsnachfrage zusätzlich durch Übersiedler aus der ehemaligen DDR und durch Aussiedler aus den Staaten Osteuropas.

· Die geburtenstarken Jahrgänge aus den 60er Jahren drängen auf den Markt.

· Dem stand ein Rückgang des Sozialen Wohnungsbaus gegenüber.

Wohnungen unterliegen wirtschaftlichen Verwertungsinteressen und sind somit wirtschaftlich betrachtet eine Ware. Die Ohnmacht der Wohnungsnachfrager steigt bei Wohnungsmangel aber im gleichen Maße wie die Macht der Anbieter, so daß oft Mietsubventionen wie Wohngeld erfolgen müssen, um die Preise des angeblich freien Marktes künstlich niedrig zu halten. Zusätzlich steigen die Lebenskosten und vor allen Dingen die Baukosten und Grundstückspreise. Im Gegensatz dazu rechnet man mit stagnierenden Realeinkommen - Arbeitslosigkeit bedeutet i.d.R. weniger oder keine verfügbaren Mittel für Wohnkosten.

Der oft wiederholte Vorschlag, daß durch eine andere Verteilung der vorhandenen Wohnfläche die Wohnungsversorgung verbessert werden sollte, ist aber nur bedingt realisierbar, weil über 10 Mill. Ein-Personen-Haushalten nur gut 2,1 Mill. kleine Wohnungen gegenüberstehen. Da jährlich nur 1 bis 1,5 vH des Wohnungsbestands neu gebaut wird, dürfte sich an dem Mißverhältnis so schnell nichts ändern. So kann man seit Anfang der 1990er Jahre aufgrund der genannten Entwicklungen von einer neuen Wohnungsnot sprechen. Das Neue an der "neuen Wohnungsnot" ist dabei, daß es sich nicht mehr überwiegend um die klassischen Armen handelt, sondern daß immer größere Kreise von Verarmung und Wohnungsnot - insbesondere durch Arbeitslosigkeit - bedroht und betroffen sind.


2. Theorie der Wohnungsmarktpolitik: Wohnungswirtschaft zwischen Markt und Sozialer Frage

Die neuen Gutachterpläne des Bundesbauministeriums gehen von einer Deregulierung des Wohnungsbaus und der Mietpreisbindung und stattdessen von einer stärkeren Orientierung am Markt aus. Der Markt ist jedoch blind gegenüber sozialer Not. Dieser Satz gilt vor allem für die Wohnungsversorgung. Somit wirft sich insbesondere für die Produktion von Wohnraum die Frage auf, ob eine Wohnung ein Wirtschaftsgut oder ein Sozialgut ist, ob der Markt eine Nachfragebefriedigung an Wohnungen gewährleisten kann oder ob der Staat eine Versorgung mit Wohnraum gewährleisten muß. Es bestehen in der Wohnungsversorgung aufgrund des Umbruchs auf dem Wohnungsmarkt enorme Engpässe, so daß die Versorgungsprobleme in der Wohnungswirtschaft noch nicht gelöst sind. Die Wohnungspolitik der 90er Jahre ist somit eine Wohnungspolitik im Spannungsfeld zwischen Staat, Kommune und Markt. Staat und Kommune greifen dabei realiter in den Markt ein, um dessen Unzulänglichkeit in der Bereitstellung von Wohnraum auszugleichen.

Die beiden Positionen: Wohnung als Ware oder soziales Gut werden in der Theorie der Wohnungsmarktpolitik präzisiert: Der Wohnungsmarkt kann danach in drei Segmente aufgeteilt werden; idealtypisch lassen sie sich abgrenzen in einen Ersten Wohnungsmarkt (marktwirtschaftliche Wohnungsversorgung)und einen Zweiten Wohnungsmarkt (staatliche Wohnungsversorgung); als Drittes kommt das Segment von Maßnahmen zur Wohnungsversorgung für Wohnunglose (Obdachlose) hinzu.

Übersicht 1

Quelle: WSI-Mitteilungen, Heft 1 / 1995, S. 12-22.

Die soziale Wohnungspolitik in einer Marktwirtschaft bewegt sich somit zwischen zwei im Grundsatz gegensätzlichen Orientierungen: Wohnung als Ware und Wohnung als soziales Gut. Aus diesem Spannungsverhältnis ergeben sich folgende sozialpolitische Perspektiven:

Eine völlige Überführung der Wohnungswirtschaft in die Marktwirtschaft zu fordern, ist fraglich, wenn die Versorgung noch nicht gewährleistet ist. Dazu Klaus Novy, der die Wohnungswirtschaft jenseits reiner ökonomischer Theorie analysiert hat: "Wer heute mit der populären Losung nach `mehr Markt´ für Reprivatisierung, Deregulierung und Marktmieten antritt, der muß sich auch klar sein, worauf er verzichtet: zum Beispiel auf einen großen, in über 100 Jahren gewachsenen Bestand gemeinnützig-gebundener Wohnungen - jede vierte Mietwohnung" (FN6). Somit bedeutet, nur mit der Maxime "mehr Markt" auf die drängenden Probleme der Wohnkultur zu reagieren, einen Rückfall weit hinter die historisch gewonnene ordnungspolitische Vielfalt und Differenzierung, die ja selbst Reaktionen auf die Schwächen der marktwirtschaftlichen Wohnraumversorgung waren. Empirisch gibt es also keinen Wohnungsmarkt ohne Staat.

Das sozialpolitische Anliegen der Wohnungspolitik strebt an, allen Haushalten ein Mindestmaß an Wohnungsversorgung zu sichern; das ist als Teil des "kulturellen" Existenzminimums.

Eine soziale Wohnungswirtschaft ist daher auf die Subventionen des Staates angewiesen, damit die Kluft zwischen Kapitalrentabilität und sozialer Sicherheit überbrückt werden kann, sonst ist mit dem Institut Wohnen und Umwelt zu befürchten, daß der "Rückzug des Staates aus der Wohnungspolitik und die daraus entstehenden sozialen Folgeprobleme den Gemeinden neue Belastungen auferlegen" würde (FN7).

Die Wohnungspolitik muß sich daher auf zwei Probleme der sozialen Absicherung konzentrieren: zum einen auf das Wohnkostenproblem und zum anderen auf das Zugangsproblem; dazu gehört auch die dringend notwendige Ausweitung des Angebots an Wohnungen.

Im folgenden soll auf das Wohngeld und den Sozialen Wohnungsbau als Instrumente zur Lösung der beiden Problem näher eingegangen werden. Wichtige Größen der Wohnungspolitik sind daher: die (Miet-)Neubauförderung und (Wohn-)Eigentumsförderung nach den noch darzustellenden vier Förderwegen, Wohngeldleistungen sowie Erhaltung der Bestandsmieten und Bestandserhaltung sowie der Mieterschutz, insbesondere der Wohnungskündigungsschutz und präventive Maßnahmen zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit.

Die beiden wesentlichen wohnungspolitischen Instrumente zur sozialen Sicherung des Wohnens für die Mieterhaushalte sind also der Soziale Wohnungsbau und das Wohngeld. Die Wirkungsweise dieser beiden Instrumente ist allerdings völlig unterschiedlich. Im ersten Fall werden Subventionen an die Bauherren von Sozialwohnungen gewährt, die diese finanziellen Zuschüsse dann über verbilligte Kostenmieten an die Nutzer der Wohungen weitergeben. Beim Wohngeld dagegen erhalten einkommensschwache Haushalte direkte finanzielle Unterstützungen, die es ihnen ermögllichen sollen, sich eine angemessene Wohnung bei den geltenden Mieten leisten zu können. Der "Obejtförderung" im Sozialen Wohnungsbau steht also die "Subjektförderung" durch das Wohngeld gegenüber.


3. Wohngeld als Subjektförderung

Zur "Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens" werden seit 1965 vom Staat Einkommentransfers in der Form von Wohngeldzahlungen vorgenommen. Vorläufer; waren Regelungen über Wohnungsbeihilfen in verschiedenen Formen. Das 1971 in Kraft getretene Zweite Wohngeldgesetz; enthielt im Kern alle Elemente des jetzt geltenden Wohngeldrechts: Die Gewährung des Wohngeldes (bis zu einem bestimmten Höchstbetrag) ist von der Höhe des Haushalts-Einkommens, der Zahl der zum Haushalt gehörenden Mitglieder, der Größe der Wohnung und der Höhe der Miete bzw. bei Eigentümerwohnungen der Belastung sowie von der Ortsgröße abhängig. Die Höhe des Wohngeldes hängt vom Einkommen, den zuschußfähigen Wohnkosten und der Haushaltsgröße ab.

Einkommensschwächere Haushalte können die markt- oder förderungsbedingten Wohnkosten für angemessenen und familiengerechten Wohnraum ohne Hilfe des Staates nur schwer tragen. Mietern und selbstnutzenden Eigentümern wird deshalb auf Antrag ein Zuschuß zu den Aufwendungen für den Wohnraum bewilligt. Auf Wohngeld besteht ein Rechtsanspruch; es ist aber im Regelfall nach einem Jahr neu zu beantragen. Wohngeld hat somit den Zweck, Haushalten mit niedrigem Einkommen ein angemessenes Wohnen wirtschaftlich zu ermöglichen und auf Dauer zu sichern (§ 1 des Wohngeldgesetzes).

Das Wohngeld erhöht also die Mietzahlungsfähigkeit der wohngeldberechtigten Haushalte, und eine Verbesserung der Wohnsituation ergibt sich für die Wohngeldempfänger zunächst dadurch, daß ihre Mietbelastungen durch das Wohngeld deutlich geringer werden können.

Seit 1975 bis zur Vereinigung Deutschlands ist die Anzahl der Wohngeldempfänger in etwa konstant geblieben; seit 1989 hat sich diese Zahl etwa verdoppelt. als Folge der Mietenexplosion bezogen Ende 1992 3,8 Mill. Haushalte Wohngeld. für diese Leistungen gaben Bund und Länder 6,8 Mrd. DM aus. Der Bund bestritt davon 3,7 Mrd. DM, die Länder 3,1 Mrd. DM. 1994 erhöhte sich diese Gesamtsumme auf 7,3 Mrd. (FN8).

Die Hälfte der Wohngeldempfänger sind Ein-Personen-Haushalte. In 80 vH der Haushalte mit zwei oder mehr Personen lebt mindestens ein Kind.

Die Entlastungseffekte des Wohngeldes sind durchaus nicht zu vernachlässigen: im Durchschnitt verrignerten 1990 die Mietzuschüsse bei den Empfängern die vorherigen Wohnkosten um mehr als ein Drittel. Bei Haushalten mit sehr niedrigen Einkommen lag die Entlastung sogar oft bei 60 vH und mehr (FN9).

Das Wohngeld ist Teil der sozialen Leistungen der Solidargemeinschaft, deren Ausgestaltung und Leistungsstandards auch von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Situation der öffentlichen Haushalte abhängen. Des weiteren ist es ein Instrument der Umverteilung. Es hat gegenüber der Objektförderung die größere Reichweite, d.h. jeder Wohnungsinhaber, sofern die einkommensmäßigen Voraussetzungen gegeben sind, hat einen Rechtsanspruch auf Wohngeld. Darüberhinaus können in der Wohngeldgestaltung familienstandsbezogene und andere persönliche Umstände bei der Wohngeldgewährung berücksichtigt werden.

Die Verteilungswirkungen des Wohngeldes sind - anders als die der Mietvorteile im Sozialen Wohnungsbau - eindeutig auf Haushalte mit niedrigem Einkommen konzentriert, weil das Wohngeld ausschließlich an Haushalte mit weit unterdurchschnittlichem Einkommen gewährt wird. Selbst etwa 20 vH der Mieter von Sozialwohnungen beziehen zusätzlich Wohngeld. Das durchschnittliche Einkommen aller Haushalte in den alten Bundesländern beläuft sich auf fast das Dreifache des Durchschnittseinkommens der Wohngeldempfänger.

Etwa 34 vH der Empfängerhaushalte erhielten monatlich weniger als 100 DM, knapp 57 vH zwischen 100 und 300 DM und bei 9 vH überschritt das Wohngeld den Betrag von 300 DM (FN10).

Das Wohngeld wird nur auf Antrag gewährt. Die Bundesregierung ging Anfang der 80er Jahre davon aus, daß "ein erheblicher Teil der berechtigten Haushalte den Wohngeldanspruch nicht wahrnimmt" (FN11). Es ist anzunehmen, daß mehr als die Hälfte der berechtigten keinen Antrag auf Wohngeld stellt (FN12). Insgesamt sind die Wirkungen des Wohngeldes also nicht so günstig, weil viele wohngeldberechtigte Haushalte ihre Ansprüche nicht realisieren.

Als wohnungspolitisches Steuerinstrument ist das Wohngeld zudem auf Dauer perspektivlos, "denn damit werden keinerlei Wohnungen neu geschaffen, sondern faktisch hohe Mieten stabilisiert", und für die eingesetzten öffentlichen Mittel behält die öffentliche Hand keinen realen Gegenwert, "es sind reine - verlorene - Zuschüsse" (FN13). Eine Schwäche des Wohngeldes ist also, daß es bei starrem Wohnungsangebot zum erheblichen Teil in erhöhten Preisen verpufft. Das Angebot an Wohnungen wird durch das Instrument: Wohngeld kaum erhöht. Ein weiterer Schwachpunkt des Wohngeldes ist, daß es nur Haushalten gewährt wird, die schon über eine Wohnung verfügen. Wohngeld hat somit lediglich den Stellenwert von "lindernden Umschlägen". Der dringend benötigte Wohnraums ist durch den Neubau von Wohnungen bereitzustellen; diese Mengensteuerung ist als eine wesentliche Funktion des Sozialen Wohnungsbau zu sehen.


4. Objektförderung: Sozialer Wohnungsbau

Die weitere Hauptsäule der Wohnungspolitik ist der Soziale Wohnungsbau. Der Soziale Wohnungsbau beruht auf einem System von öffentlichen Zuwendungen, mit denen die jeweiligen Bauherren subventioniert, und deren Gewährung an bestimmte Auflagen, wie Mietpreis- und Belegungsbindungen, geknüpft werden. Sozialwohnungen sind somit alle Wohnungen, deren Erstellung direkt bezuschußt wird und die den Bindungen des Wohnungsbaugesetzes (WoBauG) und des Wohnungsbindungsgesetzes (WoBindG) unterliegen.

Bei der öffentlichen Förderung von Sozialwohnungen gibt der Bund Finanzhilfen an die Länder, die die Fördermaßnahmen durchführen. Im Jahr 1993 stellte der Bund den Ländern fast 4 Mrd. DM für den Sozialen Wohnungsbau zur Verfügung, davon 2,7 Mrd. DM für die alten und knapp 1,3 Mrd. DM für die neuen Bundesländer (FN14). Doch auch nach der Wiederankurbelung des Wohnungsbaus sind es 1991 (FN15) nur 315.000 und 1993 (FN16) 420.000 Wohnungsbaufertigstellungen gewesen. Für 1994 wird die Errichtung von rd. 500.000 Wohnungen erwartet (FN17).

Staatliche Wohnungsbauförderung bzw. Sozialer Wohnungsbau gliedert sich in vier Förderwege:


4.1 Der erste, klassische Förderweg
- Wohnungspolitik als Versorgungspolitik: der Mietwohnungsbau -

Der erste Weltkrieg brachte Zerstörung und Verarmung. Eine allgemeine Wohnungsnot machte soziale Bauprogramme zu einer staatlichen Pflichtaufgabe: "Die Wohnung für das Existenzminimum" wurde zum Schlagwort, und der erste Förderweg, der mittlerweile als der klassische weg des Sozialen Wohnungsbaus bezeichnet wird, setzte ein, um schnell bezahlbare wohnungen in großer Zahl bereitzustellen. Es i�t eine versorgungsorientierte Wohnungspolitik, die auch heute noch den staatlichen Mietwohnungsbau prägt:

"Versorgungsorientierte Wohnungspolitik setzt bei Fördermodellen den Schwerpunkt bei langfristigen Sozialbindungen an und räumt beispielsweise der Mieterschutzgesetzgebung Priorität ein" (FN18). So wohnt die Großstadtbevölkerung heute insgesamt ganz überwiegend zur Miete.

1986 glaubte der Bund, die Subventionen für den sozialen Mietwohnungsbau einstellen zu können - bis zum Fall der Mauer. 1989 legte die Bundesregierung ein Wohnungsbau-Sofortprogramm auf. Der Soziale Wohnungsbau und damit die direkte Förderung des Mietwohnungsneubaus (erster Förderweg) erfuhren somit Ende der achtziger Jahre erneut eine Renaissance.

Voraussetzung für den Bezug einer Sozialwohnung ist ein Wohnungsberechtigungsschein. Er wird erteilt, wenn die Einkommensgrenze des § 25 im II. Wohnungsbaugesetz nicht überschritten wird (FN19).

Beim Sozialen Wohnungsbau stellt also der Staat angesichts der geringen Leistungsfähigkeit des Kapitalmarktes zinsgünstige Baudarlehen bereit. Diese Baudarlehen wurden zu einem großen Teil von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen für den Bau von Mietwohnungen verwendet.

Solange die Inflationsraten niedrig waren, führte dies zu einigermaßen akzeptablen Bedingungen. Später kam es jedoch zu inflationsbedingten Mietverzerrungen.

Als weiteres Strukturproblem stellte sich die Fehlbelegung heraus: Die Berechtigung eines Bewerbers für eine Sozialwohnung wurde früher nur bei der Beantragung des Sozialscheins überprüft. Ein späteres Einkommenswachstum, das besonders bei jüngeren Haushalten schnell eintritt, wurde früher gar nicht berücksichtigt. Soweit die Wohnung mit öffentlichen Baudarlehen gefördert wird, erhalten die Bewohner die Subventionen weiter, auch wenn sie die Einkommensgrenzen überschreiten. Im Hinblick auf das Einkommen der Bewohner sind die Wohnungen dann fehlbelegt, die Förderung ist eine Fehlsubvention.

Heute müssen Bewohner mit Einkommen über den Einkommensgrenzen Fehlbelegungsabgaben (zurück-)zahlen. Diese im Sozialen Wohnungsbau erhobenen abgaben (sog. einkommenabhängige Mietzuschläge) sind aber für spürbare Umschichtungen in der Regel zu niedrig, und sie beschränken sich auf die Sozialmietwohnungen, lassen also die im sozialen Eigenheimbau ja ebenfalls stattgefundenen Einkommensanstiege unberührt (FN12).

So beträgt in Berlin nach Auskunft des zuständigen Senators (FN21) die sog. Kostenmiete für den Sozialen Wohnungsbau 40 DM pro qm, d.h. die Stadt Berlin subventioniert den Quadratmeter im Sozialen Wohnungsbau mit 32 DM pro qm, um eine Wohnung als Sozialwohnung mit 8 DM pro qm anzubieten. Nicht selten sind derartige Wohnungen an Mieter vergeben, die nach wenigen Jahren über ein stattliches Einkommen verfügen und dann lediglich 3,50 DM pro qm Fehlbelegungsabgabe zahlen müssen.


4.2 Der zweite Förderweg
- Wohnungspolitik als Vermögenspolitik: Eigentumwohnungsbau -

Mit dem zweiten Förderweg wird Subventionierung des Eigentumswohnungsbaus bzw. des Baus von Eigenheimen bezeichnet.

Mit privatem Anlagekapital sollen neue Wohnungsbauten erreicht werden. Dazu werden vom Staat zahlreiche Anreize bereitgestellt, wie Steuervergünstigungen und Direktsubventionen für Bauwillige. Es handelt sich also mehr oder weniger um eine Förderung suburbaner Eigenheimsiedlungen (FN22). Der Anteil der Haushalte, die im eigenen Haus oder in einer ihnen selbst gehörenden Eigentumswohnung wohnen, dürfte gegenwärtig bei 40 vH der Bevölkerung liegen (FN23).

Dieser ordnungspolitischen Strategie liegt die Annahme zugrunde, daß Engpässe am Wohnungsmarkt am ehesten beseitigt werden können, wenn private Investoren erhöhte Renditeaussichten eröffnet werden. Die Eigentumsförderung geht dabei mit einer Liberalisierung und Deregulierung des Wohnungsmarktes einher. Vermögensorientierte Wohnungspolitik soll also vor allem günstige Rahmenbedingungen für private Investoren schaffen.

Die Einwände gegen diesen Förderweg des "Sozialen" Wohnungsbau sind: Er sei ineffektiv, preistreibend, sozial ungerecht, bürokratisch, zunehmend an den Wohnbedürfnissen vorbeigebaut etc. (FN24).

Auch nach Johann Eekhoff ist dieser Soziale Wohnungsbau "in hohem Maße unsozial" (FN25). Steuervergünstigungen seien die sozial ungerechteste, ineffektivste und in vieler Hinsicht sogar eine kontraproduktive Form der Förderung des Wohnungsbaus - jedenfalls dann, wenn sie der Wohnungsversorgung der breiten Schichten des Volkes zugutekommen soll: "Die sozial ungerechteste Form der Wohnungsbauförderung sind sie deshalb, da die Effekte mit steigenden Einkommen und hohen Bau- oder Modernisierungskosten zunehmen und damit weit überproportional den höheren Einkommensschichten zugute kommen" (FN26). "Richtig ist, daß aufgrund der verstärkten Wohneigentumsförderung mehr gebaut wird und der Wohnungsbestand zunimmt. Aber die Frage ist, ob dadurch eine Entlastung des angespannten Wohnungsmarktes eintritt, ob also die Situation auch für die Mieter verbessert wird. Die Antwort ist eindeutig negativ" (FN27).

Machten Ende der 50er Jahre Eigenheime und Eigentumswohnungen rund ein Viertel des öffentlich geförderten Wohnungsbaus aus, so erhöhte sich ihr Anteil bis Mitte der siebziger Jahre auf knapp die Hälfte und in den achtziger Jahren teilweise auf zwei Drittel - erst seit 1989 werden wieder mehrheitlich Mietwohnungen gefördert (FN28).

"Heute gibt der Bund 4 Mrd. Mark für preiswerte Wohnungen aus und 40 Mrd. in Form von Steuervergünstigungen für die Eigenheime Besserverdienender. Das müßte eigentlich genau umgekehrt sein. Allein das oberste Einkommensfünftel sahnt 45 Prozent der Fördermittel ab", bilanziert Georg Kronawitter (FN29), ehemaliger Oberbürgermeister aus München.


4.3 Der dritte Förderungsweg
- "Vereinbarte" Wohnungsbauförderung -

Wohnungspolitik wird also einerseits als Versorgungspolitik, andererseits als Vermögenspolitik definiert. Die neue Wohnungsbauförderung ist der dritte Förderweg mit relativ kurzen Bindungen in Mietpreis und Belegung:

Beim Ende der 80er Jahre neugeschaffenen dritten Förderungsweg (FN30) sind im Unterschied zum ersten mit seinen langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindungen hierbei die Bindungsfristen deutlich kürzer, und die Sozialmietsätze können flexibler und nach Einkommen differenzierter festgelegt werden.

Mit der vereinbarten Förderung nach § 88d II. WoBauG - dem sog. 3. Förderweg - hat der Bund ein flexibles Förderinstrument geschaffen, das es erlaubt, Mietentwicklung, Art der Bindung, Bindungsdauer und Förderintensität vertraglich zu vereinbaren, so daß die starren Vorschriften des Wohnungsbindungsgesetzes und der zweiten Berechnungsverordnung keine Anwendung finden.

In vielen Fällen beteiligen sich die Kommunen an der Förderung im 3. Förderweg. Die Mitförderung dient dem Erwerb kommunaler Belegungsrechte.

Der dritte Förderungsweg wird laut Regierungskoalition als eine Art "Königsweg" zur Belebung des freifinanzierten und dennoch sozialgebundenen Wohnungsbaus propagiert:

"In Brandenburg sind mit dem dritten Förderweg gute Erfolge beim Wohnungsbau erzielt worden. Es sind mehr Wohnungen errichtet worden, als eingeplant war" (FN). Durch die vereinbarte Förderung sei es leichter, Investoren für den Wohnungsbau zu gewinnen als im sogenannten ersten Förderungsweg.

Das Engagement im 3. Förderweg fällt allerdings von Land zu Land unterschiedlich aus. Zur Untersuchung der Erfahrungen mit der neuen Fördermethode hat das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau einen Forschungsauftrag vergeben, dessen Ergebnisse jetzt vorliegen. Danach führen kurze Bindungen von in der Regel zehn bis zwölf Jahren (eine Ausnahme bildet Niedersachsen mit 25 Jahren) Bindungszeit und im Vergleich zur Förderung im ersten Förderweg relativ hohe Mieten zu einer erheblich geringeren Förderintensität, so daß mit einem vorhandenen Mittelvolumen mehr Wohnungen gefördert werden konnten als im Rahmen der traditionellen Regelungen. Doch der Teilmarkt preisgünstiger Mietwohnungen ist dadurch nicht wirklich entlastet worden.

Der dritte Förderweg schreibt die negativen Erfahrungen mit dem Bindungsauslauf bereits jetzt für die Zukunft fest. Er ist im wesentlichen eine - kostspielige - zeitliche Verschiebung des Wohnungsmangels, die die nächste Runde wohnungspolitischer (Not-)Maßnahmen bereits jetzt vorprogrammiert. Die Neueinführung des dritten Förderungsweges im Sozialen Wohnungsbau ist daher als "Etikettenschwindel" (FN32) zu charakterisieren: Es werden öffentliche Zuschüsse für Wohnungen vergeben, die keine Sozialwohnungen im eigentlichen Sinne sind, weil es kaum Belegungsbindungen gibt, die Mieten deutlich höher liegen und die Mietverbilligung nur für 7 bis 10 statt wie bisher 30 bis 40 Jahre wirksam ist.


4.4 Der vierte Förderweg
- Einkommensabhängige Förderung -


Mit Wirkung ab Oktober 1994 verabschiedete der Bundestag ein neues Wohnungsbaugesetz, das die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus durch eine vierte - einkommensabhängige - Variante bereichert.

Dannach wird der Bau bzw. die Belegung von Sozialwohnungen künftig auch einkommensorientiert gefördert. Die Einkommensgrenzen werden differenziert angehoben und der Einkommensbegriff im Sozialen Wohnungsbau, im Wohngeldrecht und im Fehlbelegungsrecht vereinheitlicht. Das Gesetz sieht vor, daß die Bundesfinanzhilfen in Höhe von 150 Mill. DM für den ersten Förderweg beibehalten und zusätzlich 300 Mill. DM für die einkommensorientierte Wohnungsbauförderung zur Verfügung gestellt werden, so daß sich die Finanzhilfen des Bundes für den Sozialen Wohnungsbau jährlich auf mindestens 450 Mill. DM summieren sollen.

"Durch die Veränderungen in der Festsetzung der Einkommensgrenzen würden insgesamt 40 Prozent der Haushalte Sozialwohnungen beanspruchen können, von den erwerbstätigen Haushalten rund 28 Prozent, von den nichterwerbstätigen Haushalten etwa 58 Prozent" (FN33). Nach dem Gesetz werden auch die Einkommensgrenzen für den Anspruch auf Sozialwohnungen zum Teil deutlich über 20 vH angehoben.

Es bleibt allerdings voll und ganz in der Hand der Länder, ob und mit welchen Mitteln sie dieses Gesetz überhaupt anwenden. Die Länder haben inzwischen Zweifel angemeldet, ob dadurch der staatliche Aufwand verringert werden kann.

Die neue Förderung, die zunächst nur bei Neubauten die staatliche Subvention bei steigenden Mieter-Einkommen verringert, soll zunehmend das Problem von Fehlbelegungen beseitigen; die Einkommensgrenzen, bis zu denen Ansprüche auf Sozialwohnungen geltend gemacht werden können, werden angehoben und zugleich mit der Ermittlung des Wohngeldes vereinheitlicht (FN34).

Bei der einkommensabhängigen Förderung erhält der Vermieter - vorläufig nur bei Neubauten - eine Grundförderung und sichert dafür zu, an Sozialmieter zu vermieten. Die Länder bewilligen auf Antrag eine Zusatzförderung, die von der Einkommenshöhe des Mieters abhängig ist und sich mit steigenden Einkünften verringert. Geht diese Zusatzförderung an den Vermieter, gewährt dieser einen Mietnachlaß, geht sie an den Mieter, kann der Vermieter die am Markt orientierte Miete verlangen. In jedem Falle sollen Miete und Förderbetrag die Erzielung etwa der örtlichen Vergleichsmiete ermöglichen und so, im Gegensatz zur heute teuren Kostenmiete des ersten Förderweges, die privaten Investoren zu mehr Wohnungsbau anregen. Das Bauministerium erwartet dadurch mittelfristig 30 vH mehr Sozialwohnungen (FN35).

Die Höhe der Förderung soll zwar von den Ländern festgelegt werden. Da die Sozialmieter aber keinen höheren Belastungen ausgesetzt werden sollen, gehen Überlegungen des Ministeriums von folgendem Modell aus: Ein Vermieter erhält fünf Mark Grundförderung pro Quadratmeter Wohnfläche und darf nur eine Höchstmiete von 15 Mark verlangen. Bei bisherigen Sozialmieten von im Schnitt acht Mark käme dann je nach Einkommen des Mieters eine Zusatzförderung von bis sieben Mark in Frage, so daß der Mieter einkommensabhängig mit acht bis 15 Mark belastet wäre. Ergänzend wird bei Bedarf Wohngeld gezahlt.

Daneben bleiben die anderen Förderwege bestehen: der klassische erste mit hohen Subventionen für den sozialen Mietwohnungsbau und langjährigen Miet- und Belegungsbindungen, der zweite Förderweg mit Darlehen für soziales Wohneigentum und die vereinbarte Förderung (dritter Förderweg), bei der Vermieter und Mieter bei geringer Subvention kurze Belegungsbindungen vereinbaren. Diese werden nach dem aktuellen Beschluß (4. Weg) auf 15 Jahre begrenzt, betragen also nicht mehr nur 7 bis 10 Jahre wie im 3. Förderweg, bei dem die Probleme nur in die Zukunft verschoben werden.


5. Das Drei-Phasen-Modell als Perspektive für den Dritten Wohnungsmarkt

Gerade Menschen, die einkommensschwach sind und zudem weitere Durchsetzungsschwächen auf dem Wohnungsmarkt haben, wie obdachlose Wohnungssuchende, haben besonders schlechte Aussichten, eine Wohnung zu finden. Somit bleibt ein belegungsgebundener Wohnungsbestand langfristig notwendig. Die Aufgabe der Wohnungsbeschaffung obliegt hier der Fürsorge des Staates.

Als obdachlos gelten:

- In unzumutbaren Wohnverhältnissen lebende Personen,

- Unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedrohte Personen,

- Personen, die als Wohnungsnotfälle gerade ihre Wohnung verloren haben oder

- aktuell von Obdachlosigkeit betroffene Personen, die ordnungsrechtlich in Heimen eingewiesen sind.

Die krasseste Form der Unterversorgung mit Wohnraum stellt sich also für tatsächlich obdach-lose Menschen dar, d.h. für Menschen, die ohne Wohnung auf der Straße leben:

Als Langzeitwohnungslose gelten daher Personen, die ohne Wohnung oder Unterkunftsmöglichkeit beispielsweise bei Verwandten oder in einer Sammelanstalt auf der Straße länger als vier Monate leben.

Für Gesamtdeutschland wird ein "Bestand" an obdachlosen von über eine Million Menschen angenommen; davon sollen mehr als 830.000 in den alten Bundesländern leben (FN36). Für die neuen Länder wird die Zahl der potentiell obdachlosen Personen auf rund 200.000 geschätzt.

Doch die tatsächlichen Obdachlosenzahlen werden höher liegen. Es handelt sich dabei nur die Spitze des Eisbergs der Wohnungsnot; denn die meisten, die sich nicht mit adäquatem Wohnraum versorgen können, ziehen bei Freunden, Verwandten oder anderen ein. Nach einer von der Landes-Bausparkasse geförderten Studie (FN37) sprang die Zahl der Untermieterhaushalte zwischen 1987 und 1991 von 800.000 auf über zwei Millionen. Und die notgedrungene Untermiete kann leicht zur Durchgangsstation in die Obdachlosigkeit werden.

So kommen andere Schätzungen der Obdachlosenzahlen auf höhere Angaben: Ende 1990 lebten ca. 1,5 Mill. Personen in Obdachlosensiedlungen, -asylen und anderen Notunterkünften. Anfang der 90er Jahre schätzte man die Zahl der Betroffenen in Westdeutschland auf mindestens 2,2 bis 2,5 Mill. Menschen, die von absoluter Wohnungsnot und mindestens weitere 5 Mill., die von relativer Wohnungsnot betroffen sind (FN38). Rund 7,5 Mill. Personen sind also von den Engpässen auf dem Wohnungsmarkt betroffen oder bedroht. Die Tendenz ist insbesondere in den Ballungsräumen steigend, wo Wohnungsnot von der Bevölkerung als das wichtigste Politikfeld neben Arbeitslosigkeit betrachtet wird.

Die Ursachen des Wohnungsverlustes sind meist der Zwang zur Aufgabe der bisherigen Wohnung - sei es wegen Kündigung durch den Vermieter aufgrund mangelnder Mietzahlungsfähigkeit, sei es wegen Trennung vom Partner und Aufgabe der gemeinschaftlichen Wohnung.

Entstehende Obdachlosigkeit ist heute aber vor allem eine Folge der "Neuen Wohnungsnot" und der wachsenden Arbeitsmarktproblematik: Wohnungslosigkeit ist in der Regel nicht die Folge einer häufig unterstellten fehlenden "Wohnfähigkeit", sondern das Ergebnis struktureller Wohnungsmarktdefizite, zu hoher Mieten bzw. beträchtlicher Einkommensminderungen infolge Arbeitslosigkeit und dadurch bedingter Unmöglichkeit, die Mietkosten zu tragen. Insofern ist Wohnungslosigkeit die Folge einer verfehlten Obdachlosen- und Wohnungspolitik sowie indirekt der Arbeitsmarktpolitik.

Steht jemand ersteinmal auf der Straße und findet aufgrund der angespannten Wohnungsmarktsituation keine Wohnung, so greifen für ihn die kommunalen ordnungspolitischen Maßnahmen. Danach wird jeder Obdachlose aus der Innenstadt, sofern er keinen Wohnsitz nachweisen kann, in eine kommunale Sammelunterkunft zwangseingewiesen.

Für den Fall, daß wohnungserhaltende Maßnahmen nicht möglich sind oder nach einer Herbergs-Notunterkunft ein neuer Wohnraum nicht verfügbar ist, haben die Kommunen Obdachlosensiedlungen, Übernachtungsschlafstellen und teure Hotel-Unterbringungen zur Verfügung. Bei den kommunalen Notunterkünften handelt es sich meist um schlichte Provisorien. Daß die Anstaltsbewohner innerhalb eines solchen Milieus keine Zukunftsperspekiven finden, "liegt an den (...) psycho-sozialen Folgeschäden, die die Obdachlosigkeit bei den Betroffenen auslöst, und an der ausgeprägten Diskriminierungs- und Ausgrenzungsbereitschaft von Bevölkerung, Arbeitgebern, Vermietern und Behörden auch gegenüber ehemaligen Obdachlosen" (FN39).

So erweist sich die Re-Integration von Haushalten aus Obdachlosenunterkünften in Normalwohnungen ungleich aufwendiger als der Wohnungserhalt für Haushalte, die erst vom Wohnungsverlust bedroht sind, aber ihre Wohnung noch nicht verloren haben. Deshalb bleibt die vorbeugende Verhinderung von Obdachlosigkeit nach heutigem Wissenstand auch der effektivste Weg zum Abbau der Obdachlosigkeit.

Die kommunalen Obdachlosensiedlungen sind für viele der Bewohner de facto Dauerwohnungen untersten Wohnstandards, in denen sie schon jahrelang leben und keine Perspektive haben, eine "normale" oder konventionelle Dauerwohnung vom durchschnittlichen Wohnungsstandard auf dem regulären Normalwohnungsmarkt zu finden. Die Funktionsverschiebung von Obdachlosenunterkünften (eigentlich müßte es heißen: Notunterkünften) zu Übergangswohnungen bis hin zu Dauerwohnungen im Substandard stellt sich somit als der zentrale Punkt.

Auf diesen Mißstand weist auch das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ausdrücklich hin: "De facto entwickeln sich die Fürsorgeunterkünfte [also] zu einem Dauerwohnungsbestand mit Substandard. (...) In solchen Unterkünften, die eigentlich zur vorübergehenden Unterbringung obdachlos gewordener Personen gedacht sind, lag die durchschnittliche Wohndauer zum Beispiel in Stuttgart Anfang der 80er Jahre laut Auskunft eines dort beschäftigten Sozialarbeiters bei acht Jahren, also deutlich über der durchschnittlichen Wohndauer in den übrigen Stuttgarter Normal-Wohnungen" (FN40). zwei Drittel der Obdachlosenhaushalte leben länger als zwei Jahre, weit über ein Drittel länger als fünf Jahre und nahezu ein Viertel sogar länger als zehn Jahre in derartigen (Not)Unterkünften (FN41). So wird die Obdachlosenunterkunft für die Betroffenen zum dauerhaften Wohnsitz - einem Primitivbau-Ghetto, aus dem viele nur schwer herausfinden.

Aus dieser Kritik heraus ist das "Drei-Phasen-Modell der Integration von Obdachlosen" entwickelt worden (FN42). Nach diesem Konzept sollen Wohnungslose über drei Schritte von Maßnahmen wieder in eine (Normal-)Wohnung integriert werden:

- Die Notwohnung: Die Kommune unterhält ein Kontingent an Notwohnungen, die innerhalb von etwa einer Woche Menschen und Familien unbürokratisch zur Verfügung stehen, wenn sie ihre Wohnung verloren haben. Ein Beispiel wäre die Familie, die aufgrund eines Wohnungsbrandes unverzüglich mit Wohnraum versorgt werden muß.

- Die Übergangswohnung: Findet ein obdachloser Wohnungssucher längere Zeit keine Wohnung, so ist ihm eine Übergangswohnung in einem dezentralen Übergangshaus zur Verfügung zu stellen. Die gilt sowohl für diejenigen, die eine Notwohnung wieder freimachen müssen, als auch für Personen, die aus ordnungsrechtlichen Gründen zwangseingewiesen werden.

- Die Dauerwohnung: Der nächste Schritt ist, dem Wohnungssuchenden - sei es aus der Notwohnung oder Übergangswohnung - eine Dauermietwohnung zur Verfügung zu stellen, oder es ihm mit geeigneten Maßnahmen zu ermöglichen, selbst eine Wohnung auf Dauer anzumieten.

Die Dauerwohnungen wären auch als ein spezielles Kontingent für "aus der Obdachlosigkeit Aufsteigende" denkbar, so daß diese Wohnungen nicht aus dem Normalwohnungsbestand, beispielsweise der Sozialwohnungen, sondern durch Kontingentierung, Quotenregelung oder ein Sonderbauprogramm für Obdachlose bereitgestellt werden.

Menschen, die in Wohnungsnot geraten sind oder gar ein "Wohnungsnotfall" darstellen, befinden sich in komplexen Lebenslagen, die vielfältige Merkmale von Armut, Unterversorgung, Benachteiligung, Überbelastung und reduzierten Handlungsspielraum aufweisen. Die Wohnungspolitik muß dementsprechnd Lebenslagen in ihren Maßnahmen berücksichtigen und insbesondere Schwerpunktprogramme für Wohnungsnotfälle entwickeln (FN43). Die Lebenslageorientierung entspricht der Ausdifferenzieung der Wohnungspolitik für bestimmte Zielgruppen (FN44).

Darüber hinaus muß auch in der Rechtsprechung das Recht auf Wohnen generell verankert, sozialpolitische Ziele unter einem Leitbild des Menschenrechts auf menschenwürdiges Wohnen fundiert werden.

Angemessen wohnen zu können, gehört zu den elementaren Voraussetzungen eines freien und menschenwürdigen Daseins. Wohnen als Menschenrecht muß daher in Zukunft ein Verfassungrecht ("Grundrecht auf Wohnen") werden, wie es die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe fordert (FN45). "Die Einfügung eines Rechts auf Wohnen in unsere Verfassung stellt für die Wahrung der Menschenwürde eine dringend notwendige Präzisier ung des Sozialstaatsgebotes dar" (FN46).

Die Bundesländer Bremen, Bayern und Berlin haben in ihren Landesverfassungen ihren Bürgern in Anlehnung an Artikel 155 der Weimarer Rechsverfassung ein Recht auf angemessenen Wohnraum eingeräumt: So heißt es beispielsweise im Artikel 14, Absatz 1 Satz 1 der Bremer Verfassung: "Jeder Bewohner der Freien Hansestadt Bremen hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung" (FN47).

6. Mengenstrategie als Perspektive für die Versorgung im Wohnungsbau

Um größere Mengeneffekte wohnungspolitischer Maßnahmen zu erzielen, könnte die Qualität der Wohnungsbauten, besser gesagt die Baukosten, verringert werden. Es könnten einfache, standardisierte Bauformen entwickelt werden, die man praktisch in jeder Stadt in ähnlichen Variantenbauen könnte. Das Bundesbauministerium forderte die Bauwirtschaft auf, nach dem Vorbild der Schweizer Billig-Uhr "Swatch" einen preiswerten Haustyp für junge Familien zu entwerfen. Ein solches "Swatch-Haus" könnte leistungsfähig, von hoher Qualität und zugleich billig sein. Dies würde zwar zu Abstrichen vom hohen deutschen Standard führen, aber keine Billigbauweise bedeuten. So sieht es das Gutachten "Mehr Wohnungen für weniger Geld" vor (FN48).

Die Prognosen für die nächsten Jahre wurden bereits angesprochen und müssen bei der heutigen Wohnungspolitik perspektivistisch berücksichtigt werden: "Durch die Zuwanderung von Menschen, die am Arbeitsmarkt benötigt werden, wird der Bedarf an Sozialwohnungen bei gleichzeitiger Schrumpfung der Preis- und Belegungsbindungen in den Nachkriegsbeständen im Laufe des Jahrzehnts dramatisch steigen.

Grundsätzlich gilt auch für die Zukunft, daß am Markt der Großstädte keine preisgünstigen, freifinanzierten neugebauten Mietwohnungen entstehen. Die Baunormen und Erschließungskosten sowie die hohen Grundstückspreise machen Neubauwohnungen für Haushalte mit mittleren und unterdurchschnittlichen Einkommen zu einem Luxusgut.

Gleichzeitig haben schwächere Gruppen und Minderheiten mit besonderen Schwierigkeiten zu rechnen. Insgesamt kommt es zu einem Anwachsen der Disparitäten" (FN49).

Es ist daher unverständlich, wie einkommensschwache Wohnungssuchende dem freien Spiel der Kräfte auf einem Markt überlassen werden sollen, wenn sich diese Gruppen nicht selbst mit Wohnraum versorgen können bzw. der adäquate Wohnraum überhaupt nicht verfügbar ist. Wohnungspolitik bleibt für solche Gruppen daher weiterhin Aufgabe der Kommune und der Solidargemeinschaft des Staates.

Probleme stellen sich auch bei Familien mit Kindern - darauf weisen die Familienberichte der Bundesregierung seit Jahren hin; aber auch bei Beziehern von Durchschnittseinkommen bestehen Schwierigkeiten, weil sie sich in Großstädten eine Wohnung nicht mehr leisten können. Durch den Umzug ins Umland entstehen für sie andere Zeitstrukturen und zugleich permanente Verkehrsprobleme. Auch hier zeigt sich, daß die Wohnungspolitik nicht nur für Wohnungsnot verantwortlich ist.

Ebenfalls kann die Subjektförderung durch Wohngeld die Öbjektförderung im Sozialen Wohnungsbau nicht ersetzen. Eine Abschaffung des sozialen, belegungsgebundenen Wohnungsbaus bleibt illusionär.

Einer obdachlosen Familie, die mit zwei Kindern keine Wohnung findet, helfen jedoch weder Wohngeld noch Steuervergünstigungen für mögliche Eigenheimbauten. Wohngeld hat lediglich die Funktion von lindernden Umschlägen. Benötigt wird angsichts der dargestellten Fakten somit zunächst ausreichend Wohnraum. Die Wohnungspolitik muß über den öffentlichen Wohnungsbau eine Versorgungsstrategie verfolgen. Leitbild für die öffentliche Förderung bleibt also weiterhin eine Mengensteuerung im Wohnungsbau, so daß auch tatsächlich Wohnungen bereitgestellt werden; notwendig ist mehr als eine halbe Million Neubauwohnungen jährlich.


Zusammenfassung


Wohnungsnot ist zu einem sozialen Schlüsselproblem geworden: Wohnungsmarktengpässe und das Entstehen von neuen Armutsgebieten in den Großstädten bilden eine der zentralen Ursache für wachsende Aggressivität und Konflikte in den Städten. Die Theorie der Wohnungsmarktpolitik sieht die Wohnungsfrage zwischen Markt und Sozialer Aufgabe des Staates. Insbesondere aber in einem dritten Segment ist eine Verschärfung der Unterversorgung von Wohnungs- und Obdachlosen festzustellen. Subjektförderung durch Wohngeld und Objektförderung durch den Sozialen Wohnungsbau müssen durch spezifische, lebenslageorientierte Maßnahmen für Wohnungslose und Obdachlose ergänzt und ausgebaut werden. "Das Drei-Phasen-Modell der Integration von Obdachlosen" kann dabei als Perspektive angesehen werden. Die Behebung der Wohnungsnot in Deutschland wird zum Schlüssel für eine Vielzahl gesellschaftlicher Probleme und Sicherung des sozialen Friedens. Die Wohnungs(markt)politik ist für mehr verantwortlich als nur für die Wohnraumversorgung.



FUSSNOTEN:

Der Autor ist beschäftigt am Institut Arbeit und Technik (IAT), Gelsenkirchen, Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen.
FN1) Vgl. Ruhstrat, E.-U., Armut und Wohnungslosigkeit, Entstehung und Verlauf von Wohnungslosigkeit, S. 115; in: Koch, F., Reis, C. (Hrsg.), Wohnungspolitik in sozialpolitischer Perspektive, 1992.

FN2) Vgl. Ulbrich, R., Anstieg der Mietbelastung und seine Ursachen; in: Der langfristige Kredit, 42 (1991) 20, S. 639f.

FN3) Vgl. Dürr, A., Die Wohnungsnot steigert sich zur Katastrophe; in: Süddeutsche Zeitung vom 5.11.1992.

FN4) Vgl. Bundestagreport, 8/93.

FN5) Vgl. Behring, K., Baubedarf bis 2000, Keine Sättigung; in: IFO-Schnelldienst 31/89, S.10.

FN6) Vgl. Novy, K. im Vorwort zu, Wohnungswirtschaft jenseits reiner ökonomischer Theorie, Bochum 1985

FN7) Vgl. Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung & Institut Wohnen und Umwelt, Wie reagieren die Kommunen auf die "neue Wohnungsnot"? - Ergebnisse einer Umfrage; in: Evers, A. u.a. (Hrsg.), Kommunale Wohnungspolitik, 1983, S. 126.

FN8) Vgl. Stern 26/94, Was der Sozialstaat kostet, S. 128.

FN9) Vgl. Ulbrich, R., Verteilungswirkungen wohnungspolitischer Instrumente; in: Koch, F., Wohnungspolitik in sozialpolitischer Perspektive, 1992, S. 63 ff.

FN10) Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Wohngeld- und Mietenbericht 1991, Bonn 1992, S. 30 und 33.

FN11) Vgl. Bundestag-Drucksache 9/1708 vom 1.6.1982.

FN12) Vgl. Ulbrich, R., Verteilungswirkungen wohnungspolitischer Instrumente, Darmstadt, Institut Wohnen und Umwelt, 1992, S. 62 ff.- Ulbrich, R., Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 8-9/1993 , S. 23.

FN13) Vgl. Riege, M., Der Soziale Wohnungsbau; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 8-9 1993, S. 41.

FN14) Vgl. Bundestagreport, Knapp, eng und teuer, Wohnungsnot in Deutschland 8/1993.

FN15) Vgl. Ulbrich, R., Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 8-9/1993, S. 26.

FN16) Vgl. Heuser, U., Lotterie für Arme, Wohnungsmarkt, Teure Angebote gibt es reichlich, der Mangel an Wohnraum wird größer; in: Die Zeit, 1993, Nr.38, S. 25 f.

FN17) Vgl. WAZ vom 31.12.93, Mieterbund fordert höheres Wohngeld - Direktor Schilch, "Eine Million Obdachlose ist eine Schande für Deutschland".

FN18) Vgl. Holtmann, E., Killisch, W., Wohnungspolitik im geeinten Deutschland, 1993, S. 7.

FN19) Danach darf z.B. ein Vier-Personen-Haushalt ein Jahreseinkommen im Sinne dieses Paragraphen von 47.800 DM (bei drei Personen, 39.800 DM, bei zwei Personen 31.800 DM und bei einer Person 21.600 DM) haben, die Grenzen für die Bruttoeinkommen sind aufgrund verschiedener Abzugsmöglichkeiten etwas höher. "Mitte 1990 fielen gut 20 Prozent der Erwerbstätigenhaushalte und 30 Prozent aller Haushalte unter die Einkommensgrenze". Vgl. Jenkis, H., Kompendium der Wohnungswirtschaft, 1991, S. 131.

FN20) Um die begrenzten öffentlichen Haushalte zu stärken sind neben Fehlbelegungsabgaben weitere Abgaben denkbar, um durch sozialpolitische Umschichtung Finanzmittel für den Neubau von Mietwohnungen zu bekommen. So plädieren einige Autoren dafür, eine Wohnflächensteuer einzuführen. Nach dieser Ansicht sollen auch die Haushalte, die gut und überdurchschnittlich mit Wohnraum versorgt sind, einen Beitrag zur Lösung der Wohnungsprobleme leisten. Somit sind Konzepte entwickelt worden, die eine Wohnflächensteuer für alle Eigentümer- und Mieterhaushalte vorsehen, die mehr als 50 qm Wohnfläche pro Person nutzen. Ausgenommen werden sollen Haushalte mit Alleinerziehenden, mit älteren Menschen und mit Pflegebedürftigen. Für Umzugswillige werden die Kommunen geeigneten Wohnraum, soziale Hilfen und Aufwandsentschädigungen bereitstellen, wenn der frei werdende Wohnraum zur Belegung mit Bedürftigen überlassen wird. Vgl. Breckner, I., Kerscher, K., Armut und Wohnungsnot, 1994, S. 147. Ebenso kann für eine kräftige Anhebung der Fehlbelegungsabgabe plädiert werden, damit sozial gebundene Wohnungen auch wirklich den Bedürftigen zur Verfügung stehen.

FN21) Vgl. Handelsblatt vom 11.3.94, Zukunft Wohnen, S. 33.

FN22) Ziele sind dabei die Förderung der Eigenheime im Rahmen der Familienpolitik, die verstärkte Betonung von Qualitätsstandards sowie der Einsatz von Förderformen, die nicht mehr allein auf die Unterstützung privater Bauinvestitionen gerichtet, sondern auch an der allmählich einsetztenden Vermögenspolitik gerichtet waren.

Vgl. auch Bundesbauministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Haus und Wohnung im Spiegel der Stastistik, Bonn 1991, S. 64. Gegenüber der Forderung nach qualitativem Wohnen steht jedoch gerade in Zeiten der Wohnungsnot der vermehrte Ruf nach Schlichtwohnungen.

FN23) Vgl. Ulbrich, R., Verteilungswirkungen wohnungspolitischer Instrumente; in: Koch, F. u.a. (Hrsg.), Wohnungspolitik in Sozialpolitischer Perspektive 1992, S. 74.

FN24) Vgl. Riege, M., Dimensionen und Perspektiven einer sozialen Wohnungspolitik; in: Koch, F. u.a. (Hrsg.), Wohnungspolitik in Sozialpolitischer Perspektive, 1992, S. 161

FN25) Vgl. Eekhoff, J., Wohnungspolitik, Tübingen 1993, S. 69, "Das System läuft darauf hinaus, Sozialpolitik als Lotteriespiel zu betreiben. Wer Glück hat, bekommt einen großen Vermögensvorteil (Eigenheimförderung) oder Mietvorteil, wer noch mehr Glück hat, bekommt den Vorteil auch bei einem hohen Einkommen. Wer Pech hat in diesem Spiel, bekommt nichts - auch wenn er über gezahlte Steuern am Einsatz beteiligt ist, auch oder gerade weil er zu den Ärmsten in unserer Gesellschaft gehört."

FN26) Vgl. Riege, M., Sozialer Wohnungsbau; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 8-9/1993 S. 41.

FN27) Vgl. Eekhoff, J., Wohnungspolitik, Tübingen 1993, S. 44 f.

FN28) Vgl. auch Bundesbauministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Haus und Wohnung im Spiegel der Stastistik, Bonn 1991, S. 64.

FN29) Vgl. Stern Extra, Wohnungsnot 7/1993, S. 91.

FN30) Mit Einrichtung des dritten Weges waren folgende Erwartungen verknüpft: Erstens sollten auch Haushalte, deren Einkommen die Berechtigungsgrenzen des ersten Förderweges überschreiten, Zugang zu Sozialmietwohnungen erhalten. Auf diese Weise hoffte man, das Problem der Fehlbelegungen (die schätzungsweise 30 Prozent im Sozialwohnungsbaubestand ausmachen) zu reduzieren und Tendenzen "sozialer Entmischung" in Sozialwohnungsbereichen abzuschwächen. Zweitens sollte zusätzliches Privatkapital für den Sozialen Wohnungsbau erschlossen werden, denn ein Teil der in Frage kommenden Investoren ist nicht bereit, die für die Sozialwohnungen im ersten Förderungsweg üblichen Bindungsfristen von mehr als 30 Jahren zu übernehemen." Vgl. Bundestags-Drucksache 12/2883, S. 12.- Holtmann, E., Killisch, W., Wohnungspolitik im geeinten Deutschland; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 8-9/1993, S.4.

FN31) Vgl. Woche im Bundestag 9/1994 vom 4. Mai 1994, Dritter Förderungsweg ist erfolgreich - Städtebauausschuß informierte sich in Berlin über Wohnungsbau, S. 55.

FN32) Vgl. Krummacher, M., Wohnungsnot, Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik in Deutschland am Anfang der 90er Jahre; S. 37-61 in: Koch, F., Reis, C., Wohnungspolitik in sozialpolitischer Perspektive, 1992, S. 53

FN33) Vgl. Bundestagdrucksache und verabschiederter Gesetzentwurf 12/7399, sowie Woche im Bundestag 9/94 vom 4. Mai 1994, Förderung einkommensorientiert - Bundestag verabschiedete Regelungen für sozialen Wohnungsbau, S. 55.

FN34) Die starke Anhebung ergibt sich durch neue Freibeträge, die bei der Ermittlung des gesamten Einkommens abgezogen werden, 1 800 Mark im Monat für Alleinerziehende, 1200 Mark, sofern Kinder eigenes Einkommen wie Ausbildungsvergütung haben, 8 000 Mark für Ehepaare im Alter bis zu 40 Jahren, 9 000 Mark für Schwerbehinderte mit mindestens 80 Prozent und 4 200 Mark mit geringerem Grad der Behinderung, soweit sie zu Hause nach dem Sozialhilfegesetz pflegebedürftig sind. Umgerechnet auf Bruttojahreseinkommen gelten künftig die folgenden Einkommensgrenzen, für den alleinlebenden Beamten 30 750 Mark, für ledige Angestellte und Arbeiter 34 857 Mark. für den alleinstehenden Erwerbslosen liegt die Grenze bei 24 468 Mark, für Sozialrentner bei 25 756 Mark. Für Beamte erhöht sie sich bei zwei Personen auf 43 750 Mark, kommt ein Kind hinzu auf 53 750 Mark und mit zwei Kindern auf 63 750 Mark. Für Angestellte und Arbeiter liegen diese Grenzen bei 49 714 Mark (zwei Personen), 61 143 Mark (drei Personen) und 72 571 Mark (vier Personen). Bei Erwerbslosen darf der Zwei-Personen-Haushalt nicht mehr als 35 532 Mark Einkünfte beziehen, um in die Sozialwohnung ziehen zu dürfen. Für ein Sozialrentnerpaar liegt die Grenze bei 37 511 Mark.

FN35) Vgl. Das Parlament, Nr. 18-19 vom 6.-13. Mai 1994.

FN36) Vgl. Bundestags-Drucksache 12/2883, S.3 u. S. 19, Ebenso hat die BAG Wohnungslosenhilfe die Zahl der Obdachlosen in den westl. Ländern im Jahr 1990 auf mehr als 800.000 geschätzt.

Fn37) Zitiert nach Heuser, U., Wohnungsmarkt, Der Mangel an Wohnraum wird größer; in: Die Zeit, 1993, Nr.38, S. 25f.

FN38) Vgl. Krummacher, M., Wohnungsnot, Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik; in: Koch, F., Reis, C., Wohnungspolitik in sozialpolitischer Perspektive, 1992, S. 37-61, S. 43

FN39) Vgl. Koch, F., Ursachen von Obdachlosigkeit, Düsseldorf 1991, S. 5

FN40) Die "Gesamtmobilität der Stuttgarter Bevölkerung betrug 1979 bezogen auf die mittlere Einwohnerzahl 23,4 %, was bedeutet, daß in etwas mehr als vier Jahren rechnerisch jede Bewohnerin bzw. Bewohner der Stadt Stuttgart einmal ihre Wohnung wechselt"; vgl. S. 28, Bundesministerium für Raumordnung , Bauwesen und Städtebau, Wohnungsengpässe & Provisorien, Bonn 1992.

FN41) Vgl. Könen, R., Wohnungsnot und Obdachlosigkeit im Sozialstaat, Frankfurt 1990, S. 157.

FN42) Eine grafische Darstellung des Drei-Phasen-Modells enthält der Beitrag des Autors: Kommunale Perspektiven für den Wohnungsmarkt; in: Soziale Sicherheit, Zeitschrift für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Köln: Bund-Verlag, Heft 11+12 / 1994, S. 418-431 & S. 452-458.

FN43) Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. und Bundesarbeitsgemeinschaft soziale Brennpunkte e.V., Positionspapier zur Wohnungspolitik und Wohnungsversorgung für einkommens- und sozialschwache Bevölkerungsgruppen vom 10.2.1991; in: BAG Wohnungslosenhilfe (Hrsg.), Wohnungen für alle, Bielefeld 1991.

FN44) Der Sachverständigenrat des Städtebauausschusses hob jüngst hervor, daß "das zielorientierte Bereitstellen von Wohnraum für soziale Randgruppen ein wirksames kommunalpolitisches Instrument ist, Wohnungslosigkeit und Wohnungsnotfälle zu bekämpfen". Vgl. Woche im Bundestag 12/94 vom 22. Juni 1994, S. 74.

FN45) Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (Hrsg.), Wohnungslos in Deutschland - Bürger- und Menschenrechte sind unteilbar, Reihe Materialien zur Wohnungslosenhilfe, Heft 19, Bielefeld 1992.

FN46) Vgl. Koch, F., Wohnungspolitik in sozialpolitischer Perspektive, 1992, S. 18.

FN47) Weitere Nachweise finden sich bei Steinmeier, F., Brühl, A., Wohnungslose im Recht, in: Kritische Justiz 1989, S. 275-294, S. 277.

FN48) Vgl. Westfälische Rundschau, 9.8.1994, S. 2.

FN49) Vgl. Pfeiffer, U., Wohnen für alle - Ein Beitrag zur Diskussion des Wohnungsproblems in Deutschland, Friedrich-Ebert-Stiftung, 1993, S. 109.



Quelle:
WSI-Mitteilungen, Monatszeitschrift des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung, Köln: Bund-Verlag, Heft 1 / 1995, S. 12-22.
url: www.sozialpolitik.de/dritterwohnungsmarkt.htm

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